Gutes Gespräch! Die Bedeutung der Beziehung für wirksame Beratung

In einer Beratung suchen wir Hilfe und Unterstützung, weil wir ein Problem lösen wollen, mit dessen Lösung wir selbst nicht weiter kommen. Wenn wir dann einer Beraterin oder einem Berater gegenübersitzen, geht es jedoch nicht mehr allein um das Problem, sondern es spielt sich viel mehr ab.

In der Begegnung erfahren wir vielleicht die Erleichterung, manches nicht mehr mit uns herumschleppen zu müssen. Oder Dankbarkeit, endlich einmal verstanden zu sein. Wir sind vielleicht mit heiklen Gefühlen konfrontiert, etwa mit der Befürchtung: Gelte ich jetzt als inkompetent? (in unserer Kultur eine Demütigung). Vielleicht fragen wir um Rat, wenn wir ihn aber hören, sind wir empört, dass uns der/die Berater/in nicht zutraut, selbst darauf zu kommen… Die helfende Beziehung unterliegt also einer spannenden Psychodynamik. Offensichtlich geht es hier nicht nur um den Austausch zu Sachfragen, sondern um die Gestaltung einer fragilen Beziehung. Wie kann das gut gelingen?

Wie können Gespräche geführt werden, die wirklich hilfreich sind? Was zeichnet eine gelingende Beratungsbeziehung aus?

Was sind Ihre Antworten auf diese Fragen?

Ich habe mich erforscht. Und ich habe einige Menschen, die Coaching in Anspruch genommen haben darüber befragt, welches Verhalten sie als hilfreich oder wenig hilfreich erlebten. Hier einige Stimmen:

„Ich erlebe es als hilfreich, wenn mein/e Berater/in …“

  • „…meiner Auseinandersetzung mit einem Thema folgt und mich durch ihre Präsenz und das ‚Mitgehen’ unterstützt – denn das hilft mir, tiefer zu verstehen.“
  • „…etwas hinzufügt, dass meine eigenen Erfahrungen ergänzt, oder ihnen widerspricht – auf eine Weise, dass ich es aber gleichzeitig nachvollziehen kann. Dann habe ich einen Aha-Effekt. Ebenso wichtig ist mir das Gefühl, mit meinem Erleben richtig zu sein. Und nicht, dass ich falsch denke oder handle, denn das löst eine tiefe Irritation aus und bestärkt Selbstzweifel. Es führt dazu, dass ich mich den nächsten Schritt nicht trauen kann. Wachstum ist nur in der Erfahrung möglich, dass ich richtig bin. Also hilft mir der Berater durch Ergänzungen, nicht durch Infragestellen.“
  • „…ganz deutlich Interesse an mir zeigt. Dann entsteht so eine warme, freundliche Atmosphäre, ein Ruhepol. Da kann ich ankommen und fühle mich nicht unter Druck gesetzt. Das hilft, den Zusammenhängen Raum zu geben, die mir wirklich wichtig sind. Es ist nicht hilfreich, wenn Kommentare kommen, Bewertungen, Schubladen,  denn (…) ich fange an, bestimmte Aspekte nicht mehr zu zeigen. Das Gespräch ist dann nicht hilfreich, weil das, was sich verändern soll nicht gezeigt werden darf und sich so auch nicht verändern kann. Ich brauche das Gefühl, es darf alles sein, ich muss nichts beschönigen, keine Rolle spielen.“
  • „…inhaltlich selbst keine Karten im Spiel hat, denn sonst weiß ich nicht, ob sie wirklich in meinem Sinne handelt. Mir ist auch wichtig, dass sie mich nicht irgendwohin bringen will, wo sie mich gerade haben möchte. Denn dann fühle ich mich als Werkzeug für ihre Belange. Oder ich versuche, ihr zu entsprechen und handle an mir vorbei.“
  • „…,wenn er mitspürt, wie sich eine Sache für mich darstellt. Manchmal passiert es dann, dass er etwas entdeckt, das ich selbst noch gar nicht erkannt hatte. Dann erlebe ich so eine Stimmigkeit: Ja, das stimmt, so geht es mir damit … so ist das für mich.“
  • „…mir zur Verfügung stellt, was bei ihm als Zuhörer in der Auseinandersetzung mit dem Thema passiert, was Irritation auslöst, was „nicht zu passen scheint“. Daraus erhalte ich Impulse, etwas anders zu betrachten.“

Vielleicht kommen auch Ihnen einige dieser Erfahrungen bekannt vor? Ich spüre im Coaching und in der Beratung direkt, wie wichtig die Beziehung zwischen Berater/in und Klientinnen/Klienten ist.

Die Bedeutung der Beziehung für wirksame Beratung

Natürlich gibt es zu diesem Thema reiche Erfahrungen und Forschung in der Beratungstradition. Carl Rogers, Psychologe und Psychotherapeut, erforschte über viele Jahre Gespräche mit Klienten und entdeckte: »Wirksame Beratung besteht aus einer eindeutig strukturierten, gewährenden Beziehung, die es der Klientin bzw. dem Klienten ermöglicht, zu einem Verständnis seiner selbst in einem Ausmaß zu gelangen, das ihn befähigt, auf Grund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen.«

Er widmete sein Leben diesem Arbeits- und Forschungsgegenstand, begründete den klientenzentrierten bzw. personenzentrierten Ansatz und entdeckte drei Hauptfaktoren, die eine förderliche Haltung des Beraters ausmachen:

Einfühlendes Verstehen

„Der Zustand der Empathie oder empathisch sein bedeutet, den inneren Bezugsrahmen des anderen genau wahrzunehmen mit allen emotionalen Komponenten und Bedeutungserfahrungen, die dazu gehören, so als wäre man die andere Person, aber ohne jemals dieses ‚als ob’ aus den Augen zu verlieren.“

Unbedingte Wertschätzung

Unbedingte Wertschätzung bedeutet, „eine Person zu schätzen, ungeachtet der verschiedenen Bewertungen, die man selbst ihren verschiedenen Verhaltensweisen gegenüber hat.“

Echtheit und Kongruenz

Echtheit/Kongruenz bedeutet, dass der/die Berater/in sich dessen, was sie erlebt oder empfindet, deutlich gewahr wird, dass ihr diese Empfindungen verfügbar sind und sie dieses Erleben in den Kontakt mit der Klientin oder dem Klienten einbringt, wenn es angemessen ist.

Für mich beschreibt Rogers hier einen echten Dialog. Mit dem einfühlsamen Verstehen geht es darum, den anderen wirklich zu erkennen und nachzuvollziehen. Wir meinen vielleicht, verstanden zu haben, empathisch zu sein, und unterliegen doch oft schnellen Schlüssen. Buber beschrieb “Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie” und nannte das, worum es geht, Begegnung. Die Mitbegründerin der Gestalttherapie Laura Perls nannte es Kontakt. Die forschende Haltung, die hinter diesem Prinzip steht verstehe ich auch als Konsequenz der echten Erkenntnis des in der Systemtheorie beschriebenen Prinzips doppelter Kontingenz: „Einem Menschen begegnen bedeutet, von einem Rätsel wach gehalten zu werden.“ (Emmanuel Levinas)

Die Haltung der unbedingten Wertschätzung kann ich als eine Art von Beziehung sehen, die wir heute „auf Augenhöhe“ nennen würden. Betrachte ich sie oberflächlich, ist es leicht, sie als Höflichkeit mißzuverstehen, als eine Art „sozialen Kitt“. Es geht jedoch darum als Beraterin mein Gegenüber akzeptieren – unabhängig davon, was mein Klient gerade erlebt, wie er handelt, sich gibt; unabhängig von meinen persönlichen Wertungen seiner Verhaltensweisen. Sowie ich diese Art von Beziehung tiefer verstehe, zeigt sich, dass sie konsequent die Würde des Menschen anerkennt. Dass eine Begegnung beschrieben wird, die die Freiheit des anderen realisiert. Dass sie auf der Einsicht basiert, wirklich nicht sagen zu können, was richtig oder falsch ist für einen anderen, gut oder schlecht. Dass sie frei ist von Hierarchie (und erfüllt ist von Agape).

Mit der Echtheit und Kongruenz der Beraterin/des Beraters wird für mich beschrieben, dass ich als Gegenüber wirklich anwesend bin, mich zur Verfügung stelle, der Klientin/dem Klienten Rückmeldungen gebe. Sie lädt auch die Klientin/den Klienten ein, Echtheit und Übereinstimmung mit sich selbst zu erleben. Die feine Wahrnehmung unserer eigenen Gefühle, Gedanken, Körperempfindungen ist dabei der Kompass – Achtsamkeit statt die alleinige Anwendung von Programmen und Techniken.

Gespräch und Beziehung als Grundlage für das Gelingen beraterischer Interventionen und als beraterische Intervention selbst

Man könnte einwenden: In der Beratung geht es doch um etwas, das der/die Klient/in erreichen will, um einen Zweck. Vielleicht sind sogar Ziele und Lösungen vorher festgelegt, und es müssen vorrangig Informationen vermittelt werden. Was soll hier Beziehung, oder gar Begegnung?

Natürlich, es geht auch um den Inhalt. Und neben dieser sachlichen Dimension ist in der Begegnung von Beraterin und Klientin auch eine soziale Dimension wirksam. Um auf der inhaltlichen Ebene einen Unterschied machen zu können, ist es hilfreich, wenn ich als Beraterin anschlussfähig und gut in Kontakt bin, damit die oben beschriebene Psychodynamik der Beratungssituation dem Lernen nicht im Wege steht (Gleiches kann man für die Führungskommunikation behaupten, die Zweck und Beziehung zugleich adressiert.) Hier hilft der klientenzentrierte Ansatz als Basiseinstellung, auf der weitere Interventionen aufsetzen.

Gespräch und Beziehung als Intervention bei der Arbeit an der Person

Geht es um Arbeit an der Person der Klientin/des Klienten, beschreibt die klientenzentrierte Gesprächsführung einen Weg zu Persönlichkeitsentwicklung und Wachstum. Ihre Theorie der Veränderung lautet, dass Entwicklung aus sich selbst heraus geschieht. Veränderung kann dann entstehen, wenn nicht mehr gegen das gekämpft wird, was ist. Veränderung wird hier durch bedingungslose Annahme ermöglicht. Sie entsteht, wenn der/die Klient/in aufgibt, unbedingt anders werden zu wollen. Dieses psychologische Gesetz formulierten sowohl Rogers als auch Gestalttherapeuten wie Arnold R. Beisser als Paradox der Veränderung: „Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn er versucht, etwas zu werden, das er nicht ist.“

Sie wird nicht durch Bemühen, Zwang, Überzeugung entstehen sondern wenn der Klient – zumindest für einen Moment – aufgibt, anders werden zu wollen und zu entdecken, was gerade in ihm ist. „Dies beruht auf der Prämisse, dass man festen Boden unter den Füßen braucht, um einen Schritt vorwärts zu machen, und dass es schwierig oder gar unmöglich ist, sich ohne diesen Boden fortzubewegen.“

Wir Beraterinnen und Berater ringen öfters mit diesem Paradox und der operationalen Geschlossenheit der Systeme die uns begegnen – soll doch Veränderung erreicht werden! Unsere Aufgabe, so heißt es, ist es, passende und kluge beraterische Interventionen zu setzen! Interventionen. Aus dem Lateinischen: Einmischung, Eingriff… Es kann schwer sein aufzugeben, was wir für Lösungen halten.

Ringen der Beraterin/des Beraters mit dem Paradox der Veränderung und der Selbstverantwortung der Klientin/des Klienten

„Binde zwei Vögel zusammen; sie werden nicht fliegen können obwohl sie nun vier Flügel haben.“ Rumi

Aus meiner eigenen Erfahrung und aus Berichten von Beraterinnen/Beratern, denen ich in der Ausbildung und Supervision begegne, kenne ich die Verführung, Lösungsverantwortung für Klientinnen und Klienten zu übernehmen. Durch sie entwickeln sich interessante Phänomene: Sich selbst unter Druck setzen; Ärger, dass der/die Klient/in nicht vorankommt.

Für uns kann es große Entlastung bedeuten, die Veränderung in der Selbstverantwortung des Klienten zu lassen. Durch die Haltung der klientenzentrierten Beratung können wir fühlen, dass das auch wirklich hilfreich ist.

Die Lösung bei der Klientin bzw. beim Klienten zu lassen fordert auch eigene Unabhängigkeit. Sich der eigenen Motive bewusst zu sein. Was verbirgt sich zum Beispiel dahinter, wenn ich glaube zu wissen, was das Richtige für meine Klientin/meinen Klienten ist? Oder wenn ich unbedingt auch noch eine nächste Einsicht bei meinem Gegenüber erkämpfen will? Versuche ich auf Biegen und Brechen, dass meine Klientin/mein Klient etwas erreicht, damit ich beweisen kann, hilfreich gewesen, wertvoll zu sein? Wird es mir einfach zu unangenehm, Momente des Gerade-nicht-weiter-Wissens oder die Sanftheit der Schwäche zu spüren? Möchte ich im Workshop vorantreiben, weil mich die Vieldeutigkeit einer Konfliktsituation ganz unruhig macht? Unsere Seite der Beratung setzt die gute Kenntnis unserer eigenen Person voraus. Für mich heißt das auch, einen inneren Dialog zu führen, der den hier beschriebenen Kriterien entspricht.

Die Haltung der personenzentrierten Beratung hilft, bei sich selbst und beim Gegenüber zu sein. Sie gibt Sicherheit, sich nicht zu verrennen und bietet hilfreiches Rüstzeug. Über die Beraterjahre versteht man immer mehr von ihr. Und vielleicht stellt man sogar fest, dass sich die eigene Persönlichkeitsentwicklung mit der Annäherung an diese Haltung gar nicht verhindern lässt.

Quellenangaben

Buber, M.: Ich und Du
Rogers, Carl R.: Therapeut und Klient. Grundlagen der Gesprächspsychotherapie
Rogers, Carl R.: Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
Schein, Edgar H.: Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Der Aufbau einer helfenden Beziehung.
Weinberger, Sabine: Klientenzentrierte Gesprächsführung.

Artikel / Forschung